Mein Großvater sagte oft: „Die Bibel ist im Telegrammstil verfasst.“ Damit meinte er, dass die Bibel zwar alles Wesentliche enthält – aber keine langen Ausschmückungen und überflüssigen Sätze. Ich glaube, dass das stimmt. Wenn wir dann auf Sätze stoßen, die wir für entbehrlich halten, sollten wir uns fragen: „Was will uns diese Stelle denn wirklich sagen?“

Auf genau solch eine Stelle bin ich in der Beschreibung des letzten Abendmahls gestoßen. Wir finden sie so nur bei Johannes: Da er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht. (Johannes 13, 30) Mich hat der kleine Satz am Ende nachdenklich gemacht: „Und es war Nacht.“

Eigentlich ist dieser Zusatz völlig überflüssig. Denn dass das Abendmahl tatsächlich ein Abendessen war, wird uns zum Beispiel am Anfang dieses Kapitels deutlich gesagt: Und beim Abendessen, da schon der Teufel hatte dem Judas, Simons Sohn, dem Ischariot, ins Herz gegeben, dass er ihn verriete, (Johannes 13, 2) Uns ist allen klar, dass es nach dem Abendessen nun einmal Nacht wird. Vor allem, wenn man bedenkt, wie kurz die Dämmerung im Orient ist. Ziemlich schnell nach Sonnenuntergang wird es richtig dunkel.

Außerdem spielt dieser Satz für den weiteren Verlauf der Ereignisse gar keine große Rolle. Auch ohne diesen Satz wäre klar, dass Jesu Verhaftung im Garten Gethsemane und die Verleugnung des Petrus sich nicht am hellen Tag, sondern in der Nacht abspielen.

Das kann nur bedeuten, dass uns Johannes hier etwas anderes mitteilen möchte als nur eine reine Schilderung der Szene oder der Tageszeit. Wir verstehen es, wenn wir uns vor Augen halten, dass Johannes in seinem Evangelium 16 Mal von „Licht“ spricht – viel häufiger als die anderen drei Evangelisten, die zusammen 22 Mal das Wort „Licht“ verwenden.

Wenn Johannes hier von der Nacht spricht, in die Judas geht, dann ist damit nicht nur die irdische Nacht gemeint, sondern in geistlicher Sicht die Abkehr von Jesus. Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wir das Licht des Lebens haben. (Johannes 8, 12)

Von eben diesem Licht entfernt sich Judas; er kehrt ihm buchstäblich den Rücken und geht seinen eigenen, dunklen Weg. Johannes schreibt dazu an anderer Stelle: Wer arges tut, der hasst das Licht und kommt nicht an das Licht, auf dass seine Werke nicht gestraft werden. 21 Wer aber die Wahrheit tut, der kommt an das Licht, dass seine Werke offenbar werden; denn sie sind in Gott getan. (Johannes 3, 20+21)

So verstanden ist dieser kurze Satz „Und es war Nacht“ gar nicht überflüssig. Im Gegenteil: Unterstreicht er doch, was die sofortige Konsequenz ist, wenn sich Menschen von Jesus abwenden! Wer die Lichtquelle hinter sich lässt, muss zwangsläufig in die Dunkelheit laufen. Wer aber des Nachts wandelt, der stößt sich; denn es ist kein Licht in ihm. (Johannes 11, 10)

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Manfred Siebald hat dies in einem Lied (das ich noch aus meiner Kindheit kenne) sehr gut zum Ausdruck gebracht: „Es geht ohne Gott in die Dunkelheit, aber mit ihm gehen wir ins Licht. Sind wir ohne Gott, macht die Angst sich breit, aber mit ihm fürchten wir uns nicht.“

Judas ging damals nicht hinaus, weil Jesus ihn weggeschickt hätte; es war seine Entscheidung, aus dem Licht in die Nacht zu gehen. Für uns ist das wichtig. Im Licht Jesu zu bleiben ist eine Sache, für die wir uns täglich neu entscheiden sollen – und dürfen!