Deutschland ist ein Land, in dem es am Ende des Mittelalters etwa 13.000 Burgen gab. Zu den meisten Burgen gehören alte Sagen – einige davon sind sehr romantisch, andere sind eher unheimlich. In welcher Burg sich die nachfolgende Geschichte ereignet haben soll, weiß ich nicht. Aber ich finde diese Sage doch äußerst lehrreich.
Ein Ritter geriet mit seinem Bruder in einen heftigen Streit. Das ging so weit, dass dieser Ritter eines Tages sein Schwert zog und seinen Bruder in der Halle seiner Burg im Zorn erstach. Darauf befahl der Ritter seinen Knechten: „Bringt die Leiche weg und wischt das Blut vom Boden!“ Die entsetzten Knechte räumten auf, wie es der Ritter befohlen hatte. Und als die Nacht kam, erinnerte nichts mehr an den sinnlosen Mord.
Als der Ritter am nächsten Morgen die Treppe hinunter in die Halle kam, traute er seinen Augen nicht: Auf dem Boden war die Blutlache – so, als hätten seine Knechte nicht aufgeräumt! Voller Wut rief er sie zusammen und ließ die Leute wieder den Boden aufwischen. Er konnte sich das zwar genau so wenig erklären wie seine Knechte, aber nun war ja der Boden sauber…
Wir können uns das Entsetzen des Ritters und seiner Knechte vorstellen, als am nächsten Morgen die unheimliche Blutlache wieder da war; so frisch, als wäre alles eben erst passiert. Der Ritter ließ seine Leute putzen und scheuern, und nach einigen Tagen ließ er sogar die Holzbretter des Fußbodens austauschen. Doch – es half alles nichts! Jeden Morgen war wieder der riesige Blutfleck da…
Gruselig, nicht wahr? Dieser Mann konnte machen, was er wollte, aber der deutliche Hinweis auf seine Untat wollte einfach nicht verschwinden. An dieser Stelle können wir feststellen: Die Bibel spricht von einer ganz ähnlichen Begebenheit. Nicht auf einer Ritterburg, aber zur Zeit von Joseph – in Ägypten.
Joseph wurde von seinen Brüdern gehasst, dann nach Ägypten verkauft und seinem Vater machten die Brüder vor, ein wildes Tier hätte ihn getötet. Viele Jahre später kommen die Brüder wegen der großen Hungersnot im Land nach Ägypten – wo Joseph Vizekönig geworden ist. Er erkennt seine Brüder, sie ihn aber nicht. Als er sie nach Hause ziehen lässt, unterstellt er ihnen, Spione zu sein und behält den jüngsten Bruder als Geisel in Ägypten.
Sie aber sprachen untereinander: Das haben wir uns an unserm Bruder verschuldet, dass wir sahen die Angst seiner Seele, da er uns anflehte, und wir wollten ihn nicht erhören; darum kommt nun diese Trübsal über uns. 22 Ruben antwortete ihnen und sprach: Sagte ich’s euch nicht, da ich sprach: Versündigt euch nicht an dem Knaben, und ihr wolltet nicht hören? Nun wird sein Blut gefordert. (1. Mose 42, 21+22)
Ein alter Christ sage einmal: „Ich glaube an die Auferstehung unvergebener Sünden.“ Ja, Josephs Brüder mussten das nach vielen Jahren so wie der Ritter in der Sage feststellen: Alte Schuld steht wieder auf! Es bringt nichts, wenn wir versuchen, das Gras darüber wachsen zu lassen. Egal, wie viele Jahre ins Land gehen – was nicht wirklich vergeben wird, steht einmal gegen uns auf. Manchmal holen uns unsere Sünden sehr schnell ein; oft geht viele Jahre lang alles gut wie bei Josephs Brüdern. Aber spätestens beim Jüngsten Gericht heißt es dann einmal: „Weglaufen sinnlos!“
Wie gut, wenn auch wir die Wahrheit des Psalms erfahren haben: Eine Unterweisung Davids. Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist! … Darum bekannte ich dir meine Sünde und verhehlte meine Missetat nicht. Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen. Da vergabst du mir die Missetat meiner Sünde. (Psalm 32, 1+5)