In der Regel möchte ich im GemeindeAktuell nicht jede aktuelle Entwicklung in der Welt kommentieren. Die Welt dreht sich schnell genug, und geistliche Impulse für uns sind mir wichtiger als ein Kommentar zum Tagesgeschehen aus geistlicher Sicht. „Denn was heute noch galt, das ist morgen schon alt“…
Und doch will ich heute auf ein Ereignis Bezug nehmen, das uns in der letzten Zeit sehr erschüttert hat. Weil hier auch ein Bibelvers eine Rolle spielt, den ich sowieso gerne einmal hier angesprochen hätte. Aber jetzt hat dieser Vers sehr an Aktualität gewonnen.
Am 23. August wurden auf dem Stadtfest in Solingen mehrere Besucher von einem Attentäter mit einem Messer umgebracht. Für mich ist diese Tat immer noch ebenso gräßlich wie sinnlos. Als ich dann aber ein Bild sah, wo die Blumen niedergelegt wurden, um an dieses Verbrechen zu erinnern, war ich sprachlos.
Denn das Attentat fand buchstäblich im Schatten des Kirchturms der evangelischen Stadtkirche statt. Sie ist schon der vierte Bau an dieser Stelle und wurde im November 1956 eingeweiht, nachdem der Vorgängerbau 1944 bei einem Luftangriff zerstört wurde.
Und an der Seite des Kirchturms, über all den Blumen, steht der Vers: O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort! (Jeremia 22, 29) Als ich das las, wurde ich sehr nachdenklich. Diejenigen, die nach dem Krieg eine neue Kirche aufgebaut haben, standen noch unter dem Eindruck der Trümmer und des Kriegsendes. Sie wussten sehr genau, was mit einer Gesellschaft passiert, in der das Wort Gottes nur noch eine Randerscheinung ist.
Daher wurde dieser Bibelvers ganz sicher mit Absicht dort am Turm angebracht; weithin lesbar für alle. – Die Frage ist nur: Wer liest ihn heute noch? Und wer denkt darüber nach?!
In den 68 Jahren, die dieser Vers dort steht, ist von der Frömmigkeit der Nachkriegsjahre nicht mehr viel übrig geblieben. Während es damals wichtig war, für die Menschen wieder Kirchen zu bauen, ist die Kirche heute offenbar froh, wenn nicht mehr benötigte Gebäude verkauft werden können. Dann werden sie umgebaut oder gleich ganz abgerissen. Die Kirche als ein Auslaufmodell, sozusagen.
Für mich scheint es, dass es diesem Kirchturm genau so geht wie dem Propheten Jeremia, dessen Zitat er trägt. Jeremia hat nämlich auch viele Jahre lang klar und deutlich gesagt: „Leute, kehrt zu Gott um; so wie ihr lebt, wird das ein böses Ende nehmen!“ Der Ruf ist heute auch noch da und er scheint mir nötiger als je zuvor zu sein.
Wir lesen ein paar Verse vorher: Ich habe dir’s vorhergesagt, da es noch wohl um dich stand; aber du sprachst: „Ich will nicht hören.” Also hast du dein Lebtage getan, dass du meiner Stimme nicht gehorchtest. (Jeremia 22, 21) Das sind schon sehr klare Worte.
Die Parallelen unserer modernen Gesellschaft zu den Zeitgenossen Jeremias sind unübersehbar. Ja, im Schatten des Kirchturms gehen wir unseren täglichen Geschäften nach, wir feiern unsere Feste; da passieren auch schreckliche Verbrechen und die Menschen geben ihrer Trauer Ausdruck. Aber: Wer fragt nach Gott? Wer nimmt sein Wort überhaupt noch wahr? Wir diskutieren jetzt wieder einmal über schärfere Gesetze zum Schutz der Menschen. Nur – wer spricht an, dass das Hauptproblem in unserem Land die Gottlosigkeit ist?
Ich musste dabei an eine andere Schrift an der Wand denken; wir lesen davon in Daniel, Kapitel 5. Gerade dieses Ereignis kann man mit den Worten „Gottes letzte Warnung“ überschreiben. — Ich habe nicht die Hoffnung, dass es zu einem Umdenken in der Gesellschaft kommt. Aber meine Frage ist: Verstehen wir das Reden Gottes?